Tausende von Liedern sind unser Besitz geworden. Sie gehören einfach heute zu uns, jeder kennt sie, jeder liebt sie. Sie gehören zu unseren Festen, zu den Jahreszeiten und auch in bestimmte Landschaften und volkstümliche Bräuche hinein.
Doch kennen wir von diesen wirklichen Volksliedern den Ursprung? Wissen wir, wann und wo und von wem sie zuerst gesungen wurden?
Wollte man dem einmal nachgehen, so würde man meist einem Achselzucken und Kopfschütteln begegnen. Woher und wann zuerst, das hat man längst vergessen. Ein Lied war eben irgendwann plötzlich da und eroberte die Welt. Ging von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt, bis es ein deutsches Volkslied geworden war.
Irgendwann? Irgendwo? Den Ursprung des alten Soldatenliedes »Argonnerwald um Mitternacht« kennt man ganz genau:
»Es war im Frühjahr 1914, als der Pionier Nissen für ein begangenes Delikt auf Festungshaft nach Köln kam. Er saß seine Zeit ab und wurde gut Freund mit den Matrosen, die dazumal auch auf der Kölner Festung saßen. Vor allem gewann sich Nissen alle Herzen durch seine prächtige Stimme. Er sang, wann immer sich die Gelegenheit dazu bot.
Die Matrosen waren auch keine Spielverderber und sangen ebenfalls ihre Lieder. So tauschte man aus, und unter den Liedern, die der Pionier Nissen von den Matrosen Pfingsten 1914 mit auf die Stube seiner Korporalschaft brachte, war auch das Kiautschou-Lied, das bei deutschen Matrosen im Femen Osten entstanden war
»Zu Kiautschou um Mitternacht,
Stand ein Matros’ wohl auf der Wacht.
Ein Sternlein hoch am Himmel stand.
Bringt ihm ein’n Gruß aus fernem Heimatland…«
Bald sang es die ganze Stube mit Begeisterung und nicht endenwollender Ausdauer.
Im September 1914 hörte dieses Kiautschou-Lied der Pionier Andreas Schott, der in der 2. Kompanie des Pionier-Bataillons Nr. 30 damals in der Champagne lag und bald ein guter Freund von Nissen wurde. Vor allem führte die beiden die gemeinsame große Sangesfreude zusammen, denn auch Schott, der einfacher Eisenbahnbetriebsarbeiter war, hatte eine gute Stimme und war so musikalisch, daß er das Kiautschou-Lied ebenfalls seiner Stube vorsang.
In den Novembertagen desselben Jahres lag die Kompanie im Argonnerwald und dort fiel am 15. November Kamerad Nissen. Kurz danach war Schott Handgranatenposten, und zwar auf der Rheinbabenhöhe. Es war eine ruhige Nacht und er dachte voll Trauer und Wehmut an den gefallenen Kameraden Nissen. Da kam ihm plötzlich die Melodie des Kiautschou-Liedes in den Sinn. Er suchte nach neuen Worten zu der Melodie und begann, da sie im Argonnerwald lagen, mit den Worten: »Argonnerwald«.
Er suchte nach weiteren Bruchstücken von Sätzen, denn er wollte als Andenken an den gefallenen Kameraden das Lied umdichten und ihn für immer im Gedächtnis seiner Kameraden bewahren. Als er nach der Ablösung in den Unterstand zurückkehrte, sang er dort drei Kameraden das umgewandelte Lied vor. Sie summten gleich leise mit, denn den Text und die Melodie des Kiautschou-Liedes kannten ja alle ganz genau.
So sang jeder seinen Text – es war ein großes Durcheinander. Dann begann man sich allgemein dem neuen Text zu widmen und es wurde gedichtet, bis die Köpfe rauchten, gar manches umgeändert, bis die ersten zwei Strophen fertig waren:
»Argonner Wald um Mitternacht,
Ein Pionier stand auf der Wacht
Ein Sternlein hoch am Himmel stand,
Bringt ihm ein’n Gruß aus fernem Heimatland.
Und mit dem Spaten in der Hand,
Er vorne in der Sappe stand.
Mit Sehnsucht denkt er an sein Lieb,
Ob er sie wohl noch einmal wiedersieht.«
Voll Stolz und wehmütiger Erinnerungen an den toten Kameraden sang man es immer wieder, bis die vier zum Feldwebel befohlen wurden. Im Schreibstuben-Unterstand glaubten sie, bestimmt irgendeinen schweren Dienst »aufgedonnert« zu bekommen. Doch der Feldwebel fragte sie nach dem Lied, nach dem neuen, unbekannten Lied.
»Vorsingen!« befahl er. Und als er dann die Geschichte des Liedes vernommen hatte, wurde das Kochgeschirr
mit duftendem Naß gefüllt und die vier Kameraden bekamen den Befehl, weiterzudichten. Das ließen sie sich natürlich nicht zweimal sagen. Jeden Tag wurde weitergedichtet, bis nach neun Tagen alle zehn Strophen fertig waren.
Dann ging man stolz zum Leutnant Beumelburg und meldete ihm: »Herr Leutnant, wir haben ein neues Lied!« Einen ganzen Berg Zigaretten gab es für das schön vorgesungene neue Lied. Und dann ging es wie ein Lauffeuer durch alle Schützengräben. Eine Stube brachte es der anderen, ein Zug, eine Kompanie der anderen. Haue einer Urlaub, so nahm er es im Notizbuch, auf einem lose herausgerissenen Blau oder im Tagebuch mit heim.
So kam es auch 1915 in eine rheinische Zeitung und wurde dadurch auch in der Heimat bekannt als Soldatenlied, als Lied der Kameraden aus dem Argonner Totenwald.«
Quelle: Nachrichtenblatt des Traditionsverbandes I.R. 144
Das Lied macht aus der Sicht eines Pioniers die wechselnden Empfindungen zwischen Vaterlandsliebe, Heldenmut, Trauer und Wehmut deutlich. Hintergrund ist, dass mit dem immer stärker einsetzenden Stellungskrieg die Bedeutung der Pioniertruppe beim Bau von Unterständen, Gräben, Stollen, Bunkern, Sappen und Stellungen deutlich angewachsen war. Es wird aus diesem Grund häufig auch als Pionierlied bezeichnet. (Quelle: wikipedia.de)